Wiener Mehlspeisen und Wiener Kaffee – Teil 2
Für Mehlspeistiger und Zuckergoscherl
In der Hauptstadt der Süßspeisen darf man sich an Süßem satt essen. In Wien herrscht nach wie vor die Eigenart vor, Mehlspeisen auch als Hauptgericht zu servieren. Diese Tradition stammt einerseits aus der Zeit, in der das Fasten noch sehr ernst genommen wurde und aus der Tatsache heraus, dass Fleisch tabu war und man so auf sättigende Süßspeisen angewiesen war. Andererseits flossen in Wien die Küchenstile aller Ländereien der Monarchie zusammen, was auch zahlreiche süße Köstlichkeiten an den Hof und in die Kaiserstadt brachte. Also soll nun hier von typischen warmen Wiener Mehlspeisen, die gerade im Winter Körper und Seele erwärmen, die Rede sein.
Der Kaiserschmarren – ein Synonym der Wiener Mehlspeisküche
Das Wort „Schmarren“ ist seit dem 16. Jahrhundert gebräuchlich. Im Wiener Dialekt bezeichnet es etwas Minderwertiges oder Unsinn. Manche Dialektforscher meinen, dass das Wort „Schmarren“ mit Schmarotzer zusammenhängt, wonach sich diese gerne niederließen, wo es guten Schmarren zu essen gab. Rein küchentechnisch ist ein Schmarren eine warme Mehlspeise aus Grieß, Kipferln, Semmeln, Erdäpfeln oder Mehl und Eiern. Grundsätzlich war Schmarren ein deftiges Bauerngericht und fand sich erstmals 1563 in der „Hochzeitspredigt“ von Johannes Mathesius. Etymologisch dürfte das Wort Schmarren auf „Schmer“, also Schmalz/Fett zurückzuführen sein, was die Deftigkeit erklärt.
Salonfähig, also außen knusprig und innen flaumig, wurde der Schmarren erst in den bürgerlichen Haushalten des 18. Und 19. Jahrhunderts. Statt Milch verwendete man Obers, die Anzahl der Eier wurde erhöht, der Zucker wurde teilweise durch Vanille, Orangenschalen oder Zimt ersetzt. Um 1850 wurde diese Variante erstmals als „Kaiserschmarren“ bezeichnet. Die Legenden dieser Namensgebung sind vielfältig: es existieren jedoch mehrere Versionen dazu, die auf Kaiser Franz Joseph I. bzw. das Kaiserhaus zurückgehen. Besonders amüsant ist die Geschichte, wonach dem Hofkoch bei der Zubereitung von Palatschinken der Teig zu dick geraten und gerissen war. Als er dies der Kaiserin Elisabeth vorzusetzen versuchte, diese jedoch nicht sehr erfreut zu sein schien, rettete der Kaiser die Situation mit den Worten: „Na, geb er mir halt den Schmarren, den unser Leopold da wieder z‘sammkocht hat!“ – Eine andere Variante berichtet von einer kaiserlichen Jagd, die bei einem Senn (in Österreich auch Kaser genannt) endete, der dem Kaiser zur Stärkung einen „Kaserschmarren“ vorsetzte. Der Kaiser war so begeistert, dass er das Gericht umbenannte. – Einiges spricht dafür, dass der Kaiserschmarren aus dem südlichen Alpenraum stammte, wo er „Casa-Schmarren“, also Haus-Schmarren hieß. Als typische Beilage kam bereits im 19. Jahrhundert der Zwetschkenröster hinzu. Sowohl an dieser Beilage als auch an der Zubereitungsart hat sich seitdem nichts mehr geändert.
Apfelstrudel – ein Besatzungskind
Die wienerischste aller Mehlspeisen, der (Apfel-)Strudel, der in vielen Varianten und mit zahlreichen Füllungen zubereitet wird, ist ein Mitbringsel der Araber, die im 8. Jahrhundert über Nordafrika nach Spanien vordrangen. Als spanischer Teig wird der Strudelteig noch in alten Kochbüchern angeführt. Die spanischen Mauren rollten den Teig allerdings nicht ein, sondern legten ihn in Schichten, abwechselnd mit der Fülle, übereinander, ähnlich der türkischen Baklava. Als in Frankreich der Siegeszug der Araber stoppte, blieb dort auch der Strudelteig hängen. Als „pastis“ oder „croustade“ wäre er dann wohl von Frankreich nach Österreich gekommen, wenn nicht die Türken schneller gewesen wären. Die marschierten Anfang des 16. Jahrhunderts über den Balkan nach Ungarn und bis Wien (1529). In den Feldküchen wurden bereits duftende Strudel zubereitet, gefüllt mit Gelees und Rosensirup. Nach dem Abzug der Türken blieb der Strudel, mit anderen ortstypischen Füllungen, erhalten. In Ungarn, wo besonders kleberreiches Mehl zur Verfügung stand, gelang sehr geschmeidiger Teig. So kam vom damaligen Westungarn (heute Burgenland) der Strudel ins Kaiserreich und erreichte vorrangig Wien und Niederösterreich, wo man auch heute noch die größte Vielfalt an Füllungen findet.
In der Kaiserzeit hieß es, dass ein Strudel, den eine verliebte Köchin bäckt, besser schmeckt. Eine verliebte und gewissenhafte Strudelbäckerin zog den Teig so dünn aus, dass sie ihre Liebesbriefe durch ihn lesen konnte. Viele luftige Teigschichten waren somit garantiert. Die Strudelteige, die man heute kaufen kann, sind eine wahre Erleichterung, an selbstgemachten Teig kommen sie dennoch nicht heran. Genial ist nach wie vor die Idee, Früchte und allerlei andere Köstlichkeiten in den Teig zu füllen. Innen saftig und außen knusprig – das ergibt ein unnachahmliches Geschmacks- und Mundgefühl.
Milchrahmstrudel – ein Wiener Original
Wenn wir schon bei den Strudeln sind – der „Millirahmstrudel“ soll in der Wienerwald Gaststätte „Zum Roten Stadl“ in Breitenfurt erfunden worden sein, im 19. Jahrhundert besonders berühmt für seine Strudel. Eine Köchin namens Milli kreierte das Rezept aus Semmeln, Milch, Butter, Eiern, Vanille, Zucker, Obers und Rosinen. Dazu wurde schon damals Vanillesoße oder Kanarimilch serviert. Dass schon 1696 ein „Mülch Raimb Strudl“ im Wiener Kochbuch „Gantz Neu vermehrter Sorgfältiger Hauß-Halter“ erwähnt wird, tut der Sympathie für Milli keinen Abbruch.
Palatschinken – ein Erbstück mehrerer Länder der Monarchie
„Palacsinta“ in Ungarn, „palačinka“ in Tschechien – von dort kommen auch die üppigsten Varianten unserer Palatschinken. Reisen wir auf der Spur weiter, landen wir in Rumänien, wo die „placinta“ zu Hause ist. Dieser Name leitet sich vom lateinischen „placenta“, dem Mutterkuchen, ab. Kommt die Palatschinke also von den Römern? Weit gefehlt, stammt sie doch von einem der ältesten Gerichte der Menschheit ab – dem auf heißen Steinen gebackenen Fladen, der Urform des Brotes. In Siebenbürgen wurde Germteig auf diese Weise gebacken, diese Zubereitungsart wanderte über Slowenien nach Böhmen und wurde im 18./19. Jahrhundert in die Wiener Küche integriert.
Die Schreibweise „Palatschinke“ etablierte sich erst im 19. Jahrhundert, in alten Kochbüchern ist bis dahin von Pfannkuchen, Eierkuchen, Omeletten oder Dalken die Rede. Heute wird hier sehr streng unterschieden: Die Palatschinke ist aus dünnflüssigem Teig bereitet, der Pfannkuchen (eher Deutschland zugeordnet) besteht aus dicklichem Teig. Das Omelette (in Wien „die“ Omelette) ist eine Verfeinerungsstufe aus beidem und war besonders im 18. Jahrhundert sehr beliebt. Palatschinkenfüllungen gibt es viele in Wien, ob klassisch mit Marmelade, üppig mit Nussfülle, luftig mit Topfenfülle, erfrischend mit Eis und Früchten, oder auch pikant mit Fleisch, Fisch oder Gemüse.
Weltweit gibt es die Fladen in vielerlei Form und nur leicht abgewandelt: Tortillas in Mexiko, Chapati in Indien, Crêpes in Frankreich, Crespelle in Italien, Doratiin der Schweiz – Palatschinken sind wahre Weltenbürger.
Buchteln, Koche, Tascherl, Knödel … und Kaffeespezialitäten der besonderen Art
Schier endlos könnte man weiter berichten (was hier den Rahmen sprengen würde) über die endlose Zahl der warmen Wiener Mehlspeisen: Buchteln – gefüllt oder ungefüllt – mit Vanillesoße, Powidltascherl, Mohr im Hemd, Kipferlkoch, Scheiterhaufen, Mohn- oder Nussnudeln, Germknödel, Marillenknödel, Liwanzen und Rahmdalken, Pofesen (Arme Ritter) und gebackene Mäuse, Wiener Wäschermädel und Schlosserbuben, und viele mehr …
Läuft Ihnen das Wasser im Mund zusammen? Lust, die eine oder andere Köstlichkeit wieder mal zu probieren, vielleicht sogar selbst zu backen? Gleich drei köstliche Wiener Mehlspeisen gibt es bei der „Alt-Wiener Schmankerl-Reise“ im Hotel Stefanie / Restaurant Kronprinz Rudolph zu verkosten: Kaiserschmarren, Apfelstrudel und Powidltascherl samt einer Wiener Melange und den dazupassenden Anekdoten – sehr zu empfehlen!
Wiener Kaffee-Spezialitäten
Zu den köstlichen warmen Wiener Mehlspeisen genießt man am besten auch einen speziellen Wiener Kaffee. Wie wäre es z. B. mit einem „Einspänner“ (Mokka im Einspännerglas mit aufgesetzter Schlagobershaube und Staubzucker) oder einem „Franziskaner“ (Melange mit Schlagobers statt Milchschaumhaube). Für die Kaffeespezialisten gibt es dann beispielsweise auch noch die „Kaisermelange“ (geschlagener Eidotter mit Zucker und Cognac in schwarzem Kaffee, mit etwas Milch serviert) oder den „Obermayer“ (doppelter Mokka, auf den sehr kaltes flüssiges Obers mittels eines umgedrehten Kaffeelöffels aufgesetzt wird) oder vielleicht doch lieber den „Überstürzten Neumann“, wo in eine leere Kaffeeschale Schlagobers kommt, das dann mit einem doppelten Mokka „überstürzt“ wird. Für die coolen Typen ist der „Mazagran“ der richtige Kaffee – ein doppelter Mokka, mit Eiswürfeln gekühlt und mit Maraschino versetzt, der im Glas serviert wird. Fragen Sie doch bei Ihrem nächsten Kaffeehausbesuch in Wien nach einer dieser Wiener Kaffeespezialitäten!
Das süße Schlaraffenland der Wiener Mehlspeisküche indes birgt viele Köstlichkeiten und einzigartige Spezialitäten, die es zu bewahren und gleichzeitig an die kommenden Generationen zu vererben gilt – damit Kaiserschmarren, Apfelstrudel & Co. auch noch die nächsten Jahrhunderte zu genussvollen Momenten verführen.