Das Rote Wien 1919 bis 1934 – Ausstellung im MUSA Wien
15 Jahre Wiener Kommunalpolitik – eine prägende Ära im Blickpunkt
Vor 100 Jahren, im Mai 1919, fanden die ersten freien Wahlen zum Wiener Gemeinderat statt, aus der die Sozialdemokratische Arbeiterpartei mit absoluter Mehrheit hervorging. Damit hatten die „Roten“ das Sagen in Wien – die Möglichkeit, viele ihrer bereits vor dem Ersten Weltkrieg entstandenen Reformideen in die Tat umzusetzen und damit die Lebensbedingungen der Arbeiterklasse zu verbessern. Bis zur Machtergreifung von Engelbert Dollfuss und der Einführung des Ständestaates wurden unzählige soziale Projekte realisiert, die international hochbeachtet wurden – galten sie doch zur damaligen Zeit als innovativ und visionär. Die Ausstellung „Das Rote Wien“ im MUSA beleuchtet die Voraussetzungen zur Entstehung jener Konstellationen, die revolutionären Reformen, die langfristigen Wirkungen auf die Stadtstruktur und –architektur und auf viele soziale Leistungen, die uns heute selbstverständlich erscheinen, sowie die politischen Verhältnisse während und nach dieser Epoche. Ein Stück prägende Wiener Stadtgeschichte!
Wien – von der Krisenstadt zur sozialen Hochburg
Nach dem Ersten Weltkrieg galt Wien, im internationalen Vergleich gesehen, aufgrund der schlechten Lebensumstände der breiten Masse der Wiener Bevölkerung als „die Krisenstadt des Kontinents“. Hunger und Obdachlosigkeit prägten das Alltagsbild. Zur ersten großen Herausforderung der neuen Stadtregierung wurde die Wohnungsfrage. Auf der Grundlage einer revolutionären Fiskalpolitik („Luxussteuern“) wurden bis 1934 mehr als 60.000 Wohnungen – und dabei auch Arbeitsplätze am Wohnbau – geschaffen. Der „Wiener Gemeindebau“ war erfunden worden. Mehrgeschossige Wohnhausanlagen mit eigenen Freizeit-, Kultur- und Bildungseinrichtungen, mit angeschlossenen Kindergärten und Geschäften, Waschküchen u.v.m. wurden errichtet (wobei die Monumentalität einzelner Anlagen wie des Karl-Marx-Hofs bis heute umstritten sind). Erstmals wurden Kunstobjekte in Wohnhausanlagen installiert – nicht der Mensch sollte zur Kunst kommen, sondern die Kunst zum Menschen, ein Novum, das das Kunstinteresse und das Bildungsniveau der Arbeiterklasse animieren und forcieren sollte.
Die Frage, wo man wohnt, war jedoch nur der Anfang.
Wie leben?
Diese Frage wurde im Roten Wien intensiv debattiert, sie betraf alle Bereiche des täglichen Lebens: das Rollenbild von Frau und Mann, die Betreuung und Ausbildung der Kinder und Jugendlichen, die Gestaltung der Freizeit, der Umgang mit Körper und Tod, die Aufgaben von Kunst und Kultur. Mit kreativen Ideen konnten zahlreiche Prominente des intellektuellen Wiens für das rote Reformpaket gewonnen werden. Sigmund Freud, Hans Kelsen oder Robert Musil riefen 1927 zur Wahl der sozialdemokratischen Partei auf. Anna Freud engagierte sich in der Fortbildung der Kindergärtnerinnen.
Beratungsstellen wurden eingerichtet, gedruckte Ratgeber erschienen, die noch junge Sozialforschung wurde gefördert. Otto Neurath entwickelte seine Methode der Bildstatistik, um soziale „Tatsachen und Zusammenhänge“ einem breiten Publikum verständlich zu machen. Wissenschaft und Kultur erlebten in jenen Jahren einen Aufschwung, mit dem Wirtschaft und Alltag oft nur schwer mithalten konnten.
Die „Wiener Schulreform“ unter Otto Glöckel setzte auf die aktive Mitarbeit der Kinder anstelle der bis dahin üblichen „Drillschule“ – das errang international Modellcharakter und gilt bis heute als zukunftsweisend. Die körperliche Gesundheit der Kinder und Jugendlichen stand im Fokus des Fürsorgewesens, Prävention statt Heilung wurde schon den Kleinsten in den Kindergärten spielerisch in Form von Zahnputzübungen, täglicher Hygiene und regelmäßigen Mahlzeiten vorgelebt.
Der „Neue Mensch“
Freibäder, Turnvereine und öffentliche Sportveranstaltungen wie z.B. die Arbeiterolympiade 1931, aber auch kulturelle Events und Konzerte, die auch der Arbeiterklasse zugänglich gemacht wurden, zielten auf die Schaffung des „neuen Menschen“ ab, aufgeklärt und klassenbewusst. Direkt auf die Arbeitswelt hatte das Rote Wien indes nur wenig Einfluss. Die sozialen Errungenschaften wie der Achtstundentag oder die Mitbestimmungsrechte der Arbeiter sind der jungen Republik anzurechnen.
Die Wirtschaftskrise nach 1929 schränkte den Handlungsspielraum der Sozialdemokraten erheblich ein, hinzu kamen der stärker werdend Druck der bürgerlichen Bundesregierung und die wachsende Bedrohung durch den Faschismus. Die letzten Jahre des Roten Wien zeigten eine Ambivalenz zwischen symbolischer Stärke und tatsächlichem Machtverlust.
Mein Fazit: Ein Stück Wiener Stadtgeschichte, unterstrichen von großflächigen Bildern des sozialen Wohnbaus und der sozialen Errungenschaften jener Ära. Die einzelnen Projekte wie „Wohnbau“, „Bildung“, „Gesundheit“ usw. sind übersichtlich gegliedert und beschriftet, Fotos und Filmmaterial, zum Teil auf großen Leinwänden, versetzen den Besucher in jene Zeit zurück. Es ist beeindruckend, zu sehen, wie viele, für uns heute selbstverständliche, Sozialleistungen damals hart erkämpft und realisiert wurden, wie innovativ und zukunftsweisend agiert wurde. Sehenswert!
Außerdem: Die Ausstellung geht über das MUSA hinaus und bezieht das reiche architektonische Erbe des Roten Wien mit ein. Mehr als zehn Locations sind im Rahmen von Sonderöffnungen und Führungen zusätzlich zur Ausstellung zu besichtigen. Eintritt frei, Plätze nach Verfügbarkeit.
Details unter: www.wienmuseum.at/de/veranstaltungen
Das Rote Wien
1919 bis 1934
bis 19. Jänner 2020
im
Wien Museum MUSA
Felderstraße 6 – 8
1010 Wien 30. April 2019
https://www.wienmuseum.at/de/ausstellungen/aktuell/ansicht/das-rote-wien-1919-1934.html
Öffnungszeiten:
Dienstag bis Sonntag und Feiertag, jeweils 10.00 – 18.00 Uhr
Eintritt:
Erwachsene: € 7,00
Ermäßigt: € 5,00
Kinder und Jugendliche unter 19 Jahre: Eintritt frei
Jeden ersten Sonntag im Monat für alle Besucher: Eintritt frei
Daten- und Bildquellen: Copyright © Wien Museum/MUSA https://www.wienmuseum.at/
Mit bestem Dank für die freundliche Unterstützung.
Startfoto: Karl-Marx-Hof, Ehrenhof mit der Skulptur, „Der Sämann“, ca. 1930, Foto: Martin Gerlach jun. © Wien Museum